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RÜCKBLICK …

RÜCKBLICK …

auf 9 Jahre Leben ohne Schule

Vor wenigen Tagen hat unsere Älteste ihre vorerst letzte Externistenprüfung bestanden und damit nicht nur ihre Schulpflicht beendet, sondern fürs erste wohl auch den freien Bildungsweg.
Ab Herbst möchte sie eine höhere Schule besuchen. Und, um es noch ein wenig spannender zu machen, wird sie unter der Woche nicht mehr zuhause wohnen. Denn für den täglichen Weg hin und retour, ist die Schule schlicht und einfach zu weit weg.
Wie es ihr damit geht und was das für eine Umstellung ist, nach all den Jahren ohne Schule, darüber werde ich euch zu einem späteren Zeitpunkt berichten. Doch ich bin mir sicher, dass dieses wunderbare junge Mädchen, ihren Weg genauso zielstrebig und klar weiter gehen wird, wie bisher …

Spaßfoto … mit Papas Lesebrille 🙂

Zeit für mich, zurück zu blicken …
Einen besseren Zeitpunkt als jetzt gäbe es dafür wohl kaum.
Das ER-WACHSEN werden unserer Ältesten ist fühlbar. Immer weiter breitet sie ihre Flügel aus, streckt ihre Fühler Richtung Unabhängigkeit und beginnt flügge zu werden.
Und natürlich endet sie nicht hier und heute, die Begleitung oder auch das DASEIN für sie. Doch es verändert sich zusehends und das in einem Tempo von dem ich nie dachte, dass es so schnell sein würde. Und gleichsam so intensiv. Einmal mehr so voller Staunen und berührender Momente. Es ist eine Zeit in der wir – wie eine liebe Freundin gerne sagt – gefühlt die „Früchte“ ernten, die wir vor vielen Jahren gesät haben.

Die Herausforderungen

Leben ohne Schule, freies und eigeninitiatives Lernen in Österreich?
Mit Prüfungen?

Anfangs, ganz zu Beginn unseres Weges dachte ich wirklich, dass die Prüfungen die größte Herausforderung auf diesem Weg seien. Und zugegeben, sie waren jedes Mal wieder – vor allem in mir – mit einem Gefühl verbunden, welches ich tief in meiner eigenen Schulzeit verankert sehe. Es wäre gelogen zu behaupten, dass mich diese Tage nicht in irgendeiner Art und Weise berührt hätten und sie waren uns sind jedes Jahr wieder in mir mit einem „ich freu mich wenn sie vorbei sind“ – Gefühl verbunden.
Und wer meine Beiträge auf Facebook verfolgt weiß, dass dieses Gefühl gerade in diesem Jahr extrem war.

Doch ich habe am Anfang des Weges schnell erkannt, dass das meine Gefühle sind. Meine Erfahrungen und Prägungen. Und das es unendlich wichtig ist, sie bei mir zu behalten.
Wir wollten keine Negativstimmung, keine „oh mein Gott, jetzt hast du bald Prüfung“ -Stimmung aufkommen lassen. Und schon gar nicht wollten wir unserer Tochter vermitteln, dass der Ort und vor allem die Menschen dort, wo die Prüfung stattfinden würde, schlecht seien.
Unvoreingenommen
Das war natürlich nicht leicht. Aber wir wollten es versuchen und es ist uns in den letzten 9 Jahren ganz gut gelungen. Denn unsere Kinder erleben diese Prüfungstage, ganz anders als wir. Nicht weniger intensiv vielleicht, doch auf jeden Fall mit einem positiven Gefühl verbunden …

Eine weitere Herausforderung
waren unsere eigenen Idealvorstellungen, die uns gelegentlich daran zweifeln ließen, dass „alles“ von selbst käme.
Wie so viele Eltern, dachten auch wir in den ersten Jahren „ohne Kindergarten und ohne Schule“ würde bedeuten, dass wir solch einen Ort irgendwie zuhause erschaffen oder der Umgebung gar beweisen müssten, dass diese Zuhause besser war.

Ich kann mich an Momente erinnern, in denen wir das dringende Bedürfnis hatten irgendetwas zu TUN. Augenblicklich zu handeln, um unserer Ältesten etwas zu ZEIGEN oder ihr LERNEN in eine bestimmte Richtung zu lenken.
So fand ich mich beispielsweise vor vielen Jahren fast schon hektisch in einem Berg von Buntpapier sitzend und Buchstaben ausschneidend, weil unsere Älteste (damals gerade vier Jahre alt geworden) anfing sich für Buchstaben zu interessieren und ich felsenfest davon überzeugt war, dass ich irgendein Lern – Zeitfenster verpassen könnte und es unserer Tochter somit unmöglich machen würde, jemals Lesen oder auch Schreiben zu erlernen.
Am Rande erwähnt: Diese Buntpapier-Buchstaben sind nie fertig geworden. Denn nachdem unserer Tochter wenig Interesse daran zeigte, mit mir auszuschneiden, unser damals einjähriger Sohn im Papier wühlte und alles durcheinander brachte und ich selbst auch nicht wirklich große Lust auf das Ausschneiden der Buchstaben hatte, habe ich das Projekt für beendet erklärt und sie einfach experimentieren lassen, mit dem Papier.

Buchstaben haben sie dann alle von selbst gelernt …
Wie so vieles anderes auch.
Ihre einzige Unterstützung dabei sind nach wie vor die zahlreichen Plakate an der Wand, die vom ABC über die Zahlen bis zum 1×1, den Brüchen, Fremdwörtern, Landkarten und dem menschlichen Körper so ziemlich alles zeigen, was gerade aktuell von Interesse ist.

Heute erleben wir vor allem bei unserer Ältesten das, was wir früher nur aus Berichten kannten und wovon wir uns nur schwer vorstellen konnten, dass das wirklich funktioniert …
Aber ja, es funktioniert.
Was unsere Älteste interessiert, erarbeitet sie sich fast schon akribisch, fragt höchstens nach Materialien, sucht im Lexika nach passenden Informationen, geht in die Bibliothek oder auch mal ins Internet und sitzt dann mitunter Stunden über Büchern, Notizen, Plakaten und Heften. Seit sie sich im letzten Jahr das Ziel mit der höheren Schule gesetzt hat, ist kein einziger Tag vergangen, an dem sie sich nicht mit ihren Büchern an den Küchentisch gesetzt und Seite für Seite durchgearbeitet hätte.
Und ich kann zig Momente aufzählen, in denen Bekannte, die zu Besuch kamen fast schon mitleidige Blicke auf sie geworfen und irritiert darüber waren, dass sie auch am Sonntag mit ihren Büchern hier sitzen würde.
Auf ihr Ja aber ich will das so waren sie jedes Mal wieder sprachlos und erstaunt.

frei – selbstbestimmt – eigeninitiativ

Ja aber ich will das so
Das passt genau zu ihr. Zu diesem jungen, selbstbewussten Mädchen, dass Stunden damit verbringen kann ein Buch nach dem anderen zu lesen oder auch politischen Diskussionen zu folgen.
Spannend war für uns zu beobachten, wie sich im Laufe der Jahre ihr Tun wie selbstverständlich gewandelt hat.
Waren wir in der ersten Zeit noch recht häufig als Informationsquelle und Unterstützung gefragt, war ihre Auseinandersetzung mit Themen noch stark vom kindlichen, freien Spiel und dem Ausprobieren geprägt, so hat sich das in den letzten Jahren deutlich verändert.
Ich möchte nicht sagen, dass ihr Tun den spielerischen Aspekt verloren oder gar an Leichtigkeit eingebüßt hat … das ist nach wie vor da, wenn ich sie bei der Gestaltung ihrer Plakate oder Projektmappen beobachte.
Aber da ist auch eine Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit hinzu gekommen, die uns zeigt, dass sie mittlerweile in ganz anderen – wesentlich „erwachseneren“ Dimensionen denkt, als noch vor wenigen Jahren. Sie weiß genau, wo hin sie möchte, richtet sich danach aus, steckt sich ihre Ziele und marschiert los.

Es hätte keinen besseren Weg geben können

Für sie (und natürlich auch für uns)
Natürlich kann ich nicht mit 100%iger Gewissheit sagen, dass sie heute nicht ebenso selbstbewusst und zielstrebig wäre, wenn sie in die Schule gegangen wäre. Und doch weiß ich, dass wir nur mit ziemlich viel Glück genau hier wären.
Denn als 6jährige war dieses heute so selbstbewusst Mädl ziemlich schüchtern und sehr schweigsam, wenn ihr da jemand gegenüber stand bei dem sie sich nicht wohl fühlte. Die Zeit, die sie hier zuhause bekam, die hätte sie bei einem regulären Schulbesuch nicht bekommen und gerade das ist wohl auch mein größter Kritikpunkt am vorherrschenden Bildungssystem, welches Individualität kaum zu kennen scheint und größten Wert darauf legt, dass alle gleich sind …
Doch wir sind nicht gleich. Gleich viel wert zweifelsohne, aber definitiv verschieden, individuell und einzigartig …

Ja aber die Prüfungen?
Ist das denn überhaupt noch freies Lernen, wenn man Prüfungen machen muss?

So einfach, lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Denn was für den einen passend erscheint und möglich ist, ist für den anderen gänzlich unpassend und unmöglich.
Es sind Fragen, die wir ziemlich häufig gestellt bekommen und der ich einmal mehr die Frage gegenüber stellen möchte, was denn „freies Lernen“ eigentlich ist.
Wer definiert denn das?

Die Diskussion gibt es – gerade in Österreich – ja schon recht lange. Ebenso die Unterscheidung von Freilernern und Homeschoolern und „zur Schule Gehern“ und dem Graubereich dazwischen, die in keine Schublade zu passen scheinen … Doch ist das wirklich so einfach?
Für mich sitzen wir alle im gleichen Boot.
Wir sind Eltern. Wir wünschen uns alle das Beste für unsere Kinder. Ob nun Schulbesuch, Homeschooling oder eben auch freies Lernen ohne Prüfungen … Wir sind alle im Endeffekt Lernende …
Ist es nötig, dass wir hier das Trennende suchen statt das Verbindende?
Ist es nötig unsere Kinder in diesem Schubladendenken aufwachsen zu lassen oder ihnen gar das Gefühl zu vermitteln, dass der eine Weg richtiger ist als der andere?

Würde ich unsere Kinder heute die Frage stellen, ob sie sich als „Freilerner“ empfinden, bekäme ich wahrscheinlich ein glattes NEIN zur Antwort. Sie finden den Begriff irgendwie doof und können überhaupt nicht verstehen, warum man für den Weg, den wir (und viele andere auch) gehen, überhaupt einen Namen braucht.
Wir lernen doch einfach … immer und überall. Und wir gehen halt einfach nicht in die Schule … Ist doch egal
Das Schöne ist, dass sie keinen Unterschied machen. Sondern einfach nur den Menschen sehen, der ihnen da begegnet.

Die Gefahr ist, aus der Idee des freien und selbstbestimmten Lernens ein Dogma zu machen. Und dabei zu übersehen, dass wir gerade beim Lernen nicht den Fehler machen dürfen, irgendeine dogmatisch eingegrenzte Begriffsdefinition über die Individualität des Einzelnen zu stellen und in Folge dessen, darauf zu vergessen, einfach nur den jungen Menschen, sein Tun und seine Bedürfnisse zu sehen und den passenden Weg für ihn oder sie zu finden.

Ja aber …
Diese Erfahrung müssen kleinen Menschen doch nicht machen … oder?
Natürlich ist das mit den Prüfungen ein zweischneidiges Schwert. Das kann gut gehen, oder auch nicht.
Wir wollten es – am Anfang unseres Weges – einfach ausprobieren. Wollten versuchen, eine Schule zu finden, wo alles passt und wir uns in der Mitte treffen können. Ich weiß nicht wie viele Gespräch ich in den vergangenen 9 Jahren mit Pädagogen und PädagogInnen, Direktoren und DirektorInnen geführt habe. Ich weiß nicht wie viele, viele Stunden ich dahingehend investiert habe ihnen einen genauen Einblick in das Tun unserer Kinder zu gewähren und ihnen auf den Zahn zu fühlen …
Doch es hat sich gelohnt.

Ich freu mich auf die Prüfungen.
Hat unsere Älteste vor zwei Jahren zu mir gesagt und mich damit ziemlich vom Hocker gehauen. Auf die Frage ob sie nervös sei vor solchen Momenten, meinte sie nur, Nein, ich ärger mich immer nur darüber, dass so wenig Zeit bleibt um alles zeigen zu können …
Und die Einzige, die sich wohl jedes Jahr wieder auf die ruhigere Zeit danach freut – nach den Prüfungen – bin wahrscheinlich ist. Denn das ist die einzige Zeit, in der ich den Küchentisch ab und an einmal für mich habe 🙂

Und ja, natürlich ist es nicht das Optimum, das mit den Prüfungen und natürlich ist es nicht unbedingt so, wie ich mir das wünschen würde … Und doch ist der Weg gangbar … für uns. Und rückblickend betrachtet, hat es sich allemal gelohnt, diesen Weg auszuprobieren und einfach mal zu schauen, ob er für uns passt.

Mein BUCH über das freie Lernen, wie wir begleiten können und was wir erkennen dürfen findet ihr übrigens HIER

Kommentare: 3

  1. Marianne sagt:

    Ich finde es wunderbar und vorbildhaft, wie du die eigenen Vorstellungen immer wieder loslässt um deine Kinder begleiten zu können. Ich finde, dass ist mit Abstand die größte Herausvorderung in einer Begleitung. Die Liebe in Zurückhaltung. ❤ Vielen Dank für dein Teilen!

  2. Vielen Dank für diesen Beitrag, der Mut macht, Lernen einfach als das Natürlichste der Welt zu betrachten. Traurig eigentlich, dass es überhaupt Mut dazu braucht.

    • Alexandra Hammer sagt:

      Was für ein schönes Gefühl, danke dass du uns daran teilhaben lasst. Deine Tochter ist bewundernswert!
      Danke Lini, dass du auch unserer Familie diesen Weg gezeigt hast.
      Alles Liebe Alex

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