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NEIN!

NEIN!

Kinder lernen NEIN sagen

Ich dachte, ich hätte mich verlesen. Doch dem war nicht so. Das stand da. Genau so. Dick und groß auf diesem Buch, mit dem Eltern und PädagogInnen Kinder durch verschiedene Bausteine zu ihren eigenen Grenzen, der Selbstwahrnehmung und dem NEIN sagen lernen heranführen konnten.
Verdammt noch einmal dachte ich, so weit sind wir also schon gekommen, dass es nötig ist, Kindern das NEIN sagen wieder zu lernen?

NEIN.
Abwehrhaltung ist eines der ersten Dinge, welche kleine Menschen zeigen, wenn ihnen etwas weh tut, ihnen eine Art der Berührung unangenehm ist und sie etwas nicht wollen. Abwehrhaltung kommt – ganz natürlich und selbstverständlich – immer dann zum Einsatz, wenn sie nach Autonomie und Selbstständigkeit streben und die bisher gewohnte Art der Begleitung nicht mehr brauchen oder auch wollen.
Nein, ist eines der ersten Worte, welches kleine Menschen für sich entdecken und anwenden. Natürlich teils auch dadurch bedingt, dass sie diese Wort sehr häufig von Erwachsenen hören. Doch nicht zuletzt auch, weil NEIN deutlich und klar zeigt, was „Sache“ ist.
Das Zeigen der eigenen Grenzen wie auch das Signalisieren von Abwehrhaltung sind wesentliche und wichtige Werkzeuge unserer Kommunikation und somit etwas, was von Beginn an beherrscht werden muss. MUSS, weil wir (nonverbale) Kommunikation brauchen um unser Überleben zu sichern. Evolutionär bedingt. So einfach ist das. EIGENTLICH.
Oder auch nicht.

UNERWÜNSCHT
Denn Abwehrhaltung und ein klares NEIN sind doch auch Ausdrucksweisen, die bei vielen Erwachsenen und in unserer Gesellschaft gerade in den ersten Lebensjahren eines Kindes eigentlich unerwünscht sind. Aus unterschiedlichen Gründen.

Das sagt man nicht und das macht man nicht.
Da sind die Einen, die derartige Verhaltensweisen durch strikte Erziehung und konsequent gesetzte Maßnahmen zu unterbinden versuchen, weil sie als unartig angesehen und als Ungehorsam gedeutet werden.
Stur, schwierig, störrisch, … mit Bezeichnungen wie diesen wird dann gerne einmal (ab)gewertet und auf noch konsequentere Erziehung gepocht, damit dem kleinen Menschen seine Flausen abgewöhnt werden und das er nur ja nicht glaubt, dass … .
Es sind die Erwachsenen, die kleinen Menschen ihre Selbstwahrnehmung absprechen, sie für ihre Abwehrhaltung ausschimpfen, ihre Empfindungen negieren und ihnen beibringen, dass es da immer den Machtvolleren gibt, der „es“ besser weiß.

Und dann sind da auch noch die Anderen. Diejenigen, die Abwehrhaltung und Nein am liebsten gänzlich aus dem Miteinander streichen würden. Diejenigen, die sich in ihrer Interaktion mit kleinen Menschen dermaßen verbiegen und verzerren, jegliche Form von Abwehrhaltung, Wahrung der eigenen Grenzen oder auch ein NEIN vermeiden, weil sie es schlicht und einfach als BÖSE und AUTORITÄR empfinden und davon überzeugt sind, dass ein NEIN bei Kindern nur aus dem Grund auftritt, weil sie es allzu oft hören von den Erwachsenen.
Es sind diejenigen, die NEIN-freie Zonen erschaffen und damit versuchen eine schillernde Friede-Freude-Eierkuchen Realität zu erzeugen, wo sich ja alle so unendlich lieb haben und es keine Grenzen gibt.
Also auch wieder so ein „Das sagt man nicht und das macht man nicht“. Nur ein bisschen anders. Ein bisschen subtiler. Und noch ein bisschen komplexer – vor allem für den kleinen Menschen. Der von einem oder mehreren Erwachsenen umgeben ist, der oder die nicht greifbar sind … Und nicht authentisch.

Jedes Kind kann … Nein sagen lernen?
Es ist ein bisschen so wie mit dem „Jedes Kind kann schlafen lernen„, wo man in unserer Gesellschaft so gerne davon ausgeht, dass Kinder das nicht könnten und man es ihnen anerziehen müsste. Mit dem Nein, scheint es nun ähnlich zu sein. Und ähnlich wie beim Schlafen, wird auch hier das NEIN zuallererst einmal den Kindern aberzogen. Weil ein NEIN sagendes Kind natürlich „schwieriger“ zu begleiten ist als eines, welches sich stumm anpasst und macht, was erwartet wird, auch, wenn das die eigenen Grenzen überschreitet.
DOCH: Kinder KÖNNEN nein sagen. Von Beginn an. Auf sich und das eigene Empfinden aufmerksam zu machen ist eine der wenigen instinktiven Verhaltensanlagen, die wir Menschen zum Zeitpunkt unserer Geburt besitzen und die lediglich noch ein wenig ausreifen und sich differenzieren muss.
Kinder können also NEIN sagen. Ebenso wie sie JA sagen können.
Sofern man es ihnen nicht ab-erzieht oder durch die eigene verzerrte Vorbildwirkung abtrainiert.
Sie können sich ausdrücken Nonverbal zunächst und später verbal.
Selbst bei zu früh geborenen kleinen Menschen zeigen sich deutliche Zeichen von Abwehrhaltung und Abneigung, wenn Behandlungen durchgeführt werden, die ihnen unangenehm sind.
(nachzulesen u.a. im Buch „Frühgeborene – zu klein zum Leben? – Dr. Med. Marina Marcovich / Theresia Maria de Jong – Kösel Verlag)

Um hier nicht missverstanden zu werden: Besser früher als später oder vielleicht gar nie. Das Nein sagen und die Selbstwahrnehmung wieder erlernen.
JA EH.
Und doch braucht es an dieser Stelle die Kritik.
Denn wir müssten kleinen Menschen nicht wieder lernen NEIN zu sagen, wenn wir es ihnen davor nicht irgendwann ab-erzogen oder ab-trainiert hätten. Durch unser Agieren, Reagieren und Verhalten ihnen gegenüber.
Wir müssten sie nicht – durch Übungen und Vorträge – daran erinnern, dass ihr Körper ihnen gehört und ihre Abwehrhaltung vollkommen okay ist, wenn wir davor nicht all die kleinen und großen erzieherischen Bemühungen gesetzt hätten, um sie „brav“ zu machen.

Nur zur Erinnerung:
Stell dich nicht so an.
Ist doch nicht so schlimm.
Tut doch nicht so weh.
Jetzt sei doch nicht so.
Was du schon wieder hast.

Und so weiter und so fort. Diese Aussagen sitzen den meisten von uns mehr oder weniger tief in den Knochen, liegen uns vielleicht gar das eine oder andere Mal auf der Zunge oder werden gar ausgesprochen.

Dem kleinen Menschen der weint, wird erklärt, dass es nicht nötig sei zu weinen. Dem kleinen Menschen, der sich weh getan hat, wir erklärt, dass so etwas gar nicht weh tut und dem kleinen Mensch der weint, weil er lieber bei seinen Eltern wäre, dem wird erklärt, dass er da jetzt schlicht und einfach durch muss. Und so werden seine Empfindungen sukzessive verdreht.
Es ist in unserem Miteinander und im Umgang mit kleinen Menschen nach wie vor üblich ihnen durch die Art der Begleitung und die getätigten Aussagen zu erklären, dass sie im Grunde keinerlei Ahnung von ihren Empfindungen haben, sie sich selbst nicht trauen können und es die Erwachsenen sind, die besser Bescheid wissen.
Und ja, natürlich gibt es da „die Anderen“. Die – wie oben erwähnt, genau das zu vermeiden versuchen. Indem sie sich selbst verbiegen und verzerren, ihre eigenen Grenzen mitunter leugnen und überschreiten, alles lieb lächelnd ertragen und dem kleinen Menschen dadurch aber auf ebensolche – nur viel subtilere – Art und Weise zeigen, dass NEIN, Abwehrhaltung und Grenzen eigentlich etwas sehr, sehr Schlechtes und Unerwünschtes sind.

Und irgendwann stehen wir dann da, voller Sorge und irritiert darüber, dass der mittlerweile junge Mensch nicht NEIN sagen kann. Nicht so, wie wir uns das wünschen würden. Dort draußen. Ohne uns.
Wir stehen da und müssen erkennen, dass dieser junge Mensch eine völlig verzerrte Selbstwahrnehmung hat und eigentlich gar nicht so recht weiß, wie das so ist, mit den eigenen Grenzen. Und plötzlich braucht es dann diese Bücher. Und Vorträge. Und Programme, damit der nun junge Mensch wieder NEIN sagen lernt. Und sich selbst wieder wahrnimmt und fühlt und seine Stärke findet …
Doch wir müssten junge Menschen nicht in ihrem SELBST und ihrer Wahrnehmung des Selbst stärken, wenn wir ihnen von Beginn an vertraut, ihnen zugehört und sie in ihrem SEIN bestärkt hätten. Ohne Maßregelungen und Urteile was nun geht und was nicht.
Wir müssten uns keine Sorgen über dieses NEIN sagen und das WAHREN der eigenen Grenzen machen, wenn das von Beginn an sein hätte dürfen – auch in der Eltern-Kind-Beziehung … oder gerade da. Und wenn wir in unserem Agieren und Handeln von Beginn an in dieser Bindungsbeziehung die eigenen Grenzen gewahrt hätten.
Wenn wir – authentisch und angemessen – ab und an, mit gutem Gewissen und wenn es im Sinne unserer individuellen Grenzen war – NEIN gesagt hätten. Auch zu diesem wunderbaren, kleinen WESEN, welches wir so unendlich lieben.

Denn darum geht es.
Genau darum. Ab und an – wann immer die Gefahr einer Grenzüberschreitung droht, ein klares und deutliches NEIN zu zeigen. Angemessen versteht sich. Auf eine Art und Weise, die das Selbst schützt, aber auch niemand anderen verletzt.
Es geht darum, das NEIN und die Abwehrhaltung des kleinen Menschen zu sehen, ihm zuzuhören und sie zu beachten.
Es geht darum, die Kompetenz zu erkennen, mit der wir in Bezug auf unser Empfinden und das Äußern dieser Empfindungen geboren werden.
Denn Babys können NEIN sagen. Sie können das sehr gut sogar. So gut, dass wir manchmal erstaunt darüber sind, mit welcher Vehemenz sie zum Ausdruck bringen, was sie berührt …

Das ist – zweifelsohne – nicht immer leicht und erfordert großes Fingerspitzengefühl, um die Balance zu halten. Zwischen Zuhören und Verantwortung tragen, zwischen Raum schaffen und Orientierung geben. Zwischen Annehmen und Loslassen … Und doch um so vieles leichter, als sich später dann einmal, Gedanken darüber machen zu müssen, wie das denn sein wird, wenn die lieben Kleinen größer und auf sich alleine gestellt unterwegs sind. Mit ihren Grenzen, der Selbstwahrnehmung und dem NEIN sagen …

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